Neuanfang

Oft wurde ich gefragt, ob der Anfang in Japan schwer für mich war. Das kann ich nur verneinen. Es war ein Abenteuer, nicht immer ein Zuckerschlecken, aber ich empfand es nicht als Realität des Lebens, als Alltag. Es war eine Ausnahmesituation. Irgendwann wurde es aber zum Alltag. Kochen, Waschen, Bügeln gehörte genauso dazu wie einkaufen und der Verzicht auf deutsche Medien. Ich konnte kein Japanisch. Das erste Wort, das ich in Deutschland gelernt hatte, war „moshi-moshi“. So meldet man sich am Telefon. Ich hatte reichlich Gelegenheit, es zu benutzen, denn mein Mann bekam oft Anrufe aus der Uni. Mit moshi-moshi war dann allerdings, vor allem in den ersten Wochen, Schluss der Verständigung. In dieser Zeit rief ein älterer Kollege meines Mannes an und ich konnte ihn genauso wenig mit einer Auskunft bedienen wie mit den von ihm erwarteten Höflichkeitsfloskeln. Darüber beschwerte er sich am nächsten Tag bei meinem Mann. „Was hätte ich denn sagen sollen?“ fragte ich. „Nun,“antwortete er, „in diesem Fall sagt man: Itsumo osewa ni natte orimasu. Das heißt ungefähr: vielen Dank dass Sie sich immer gut kümmern.“ „Woher hätte ich denn wissen sollen dass er jemand ist, der sich um dich kümmert? Und warum spricht er als Deutschlehrer nicht Deutsch mit mir?“ der Einwand schien mir berechtigt.

Mit dem Satz habe ich mir Anfangs fast die Zunge abgebrochen, aber ich habe ihn gelernt. Nur: ich habe mich immer geweigert ihn anzuwenden. Nicht ein einziges Mal.

Die Japanische Wohnung

Später sollte ich noch mit vielen japanischen Wohnungen Bekanntschaft machen und mich immer wieder wundern, wie Menschen darin leben konnten – und noch dazu offensichtlich glücklich. Aber erst mal stellte sich mir die Frage: wenn das 63 qm sind und die Wohnung meines Bruders in Deutschland, die ich 2 Tage zuvor verlassen hatte, sind 65 qm, wo ist der Rest? Ganz offensichtlich fehlten der japanischen Wohnung einige Quadratmeter, auf mein Augenmaß konnte ich mich verlassen, da war ich sicher. Es dauerte aber einige Zeit bis ich des Rätsels Lösung fand: In Japan legt man bei der Berechnung der Grundfläche das Metermaß sozusagen rund um die Außenmauern. Alles was innerhalb dessen liegt, wird mit gemessen. In Deutschland wird nur der bewohnbare Raum gemessen.

Kulturschock

Ich muss es gleich sagen, ich bin ein Landei. Meine Heimatstadt hatte damals ca. 1200 Einwohner, Tokyo das 10tausend fache. Auf der Fahrt vom Flughafen Narita zu meiner neuen Heimstadt fragte mich mein Schwager, der das Auto fuhr: „Wie findest du Tokyo?“ Ich fand gar nichts, ich war gar nicht fähig, mir eine Meinung zu bilden. Straßen, Autos, Menschen, Häuser in einem Übermaß, wie ich es noch nie gesehen hatte. In diesem Moment war ich mir überhaupt nicht sicher ob ich je lernen würde, die japanische Realität so zu lieben wie meine romantische Vorstellung davon. Ehrlich gesagt, ich war ziemlich besorgt. Dann betrat ich mein neues Heim, eine Wohnung in einem 11stöckigen Haus. Und sagte genau was ich fühlte: „Ach wie niedlich, wie ein Puppenhaus“.

Später hörte ich von der Frau meines Schwagers, dass mein Mann ziemlich schockiert darüber war. Er hatte sich große Mühe gegeben, eine schöne Wohnung für uns zu finden und war sehr stolz darauf. Ich hatte es ja auch gar nicht abwertend gemeint, aber was für ihn eine „große“ Wohnung war, das war für mich eben kaum mehr als Spielhaus-Größe.

Ein realer Japaner

Als ich 1979 meinen späteren Mann kennenlernte konfrontierte ich ihn mit diesen Berichten und Nachrichten. „Warum“ fragte ich „lasst ihr es zu, dass eure Städte im Smog ersticken?“ Er winkte ab. „Das sind veraltete Nachrichten, das Problem ist längst gelöst. Im Gegensatz zu Deutschland wird in Japan längst kein Auto ohne Katalysator mehr zugelassen.“ Ob ich das glauben sollte? Auch für meine anderen Fragen hatte ich endlich einen Adressaten. Tragen die Frauen noch Kimono? Isst man tatsächlich rohen Fisch? Sind die Wohnungen in Japan wirklich so klein? Die Antworten machten mich nur noch neugieriger und ein Jahr später traf ich eine meiner folgenschwersten Entscheidungen mit gespannter Erwartung: ich ging mit meinem Mann nach Japan.

Anmerkung: 1973 erließ das neue Amt für Umweltfragen in Tokyo die strengsten Abgasreinigungsvorschriften der Welt und gab der Industrie nur 2 Jahre Zeit zur Umsetzung. Mazda arbeitete schon seit 1965 an der neuen Technologie und 1973 fuhren die Mazda bereits serienmäßig bleifrei und mit Katalysator. Siehe hierzu diesen Link zu einem Spiegel-Artikel:

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13509288.html

Fortsetzung folgt …

Meine Vorstellung von Japan

Diese Liebe zu einem Land, von dem ich damals glaubte es nie sehen zu können, orientierte sich wenig an der Realität – aber wann tut Liebe das schon. Ich las die Geschichten vergangener Zeiten, sah Bilder von schönen japanischen Häusern und Gärten und dachte, jede Japanerin sei eine kleine Madame Butterfly. Zur Erinnerung für die jüngere Generation: damals, in den 70er Jahren, gab es noch kein Internet und die Möglichkeiten zur Information waren etwas eingegrenzt. Dann las ich Berichte in deutschen Zeitschriften und sah Nachrichten von Umweltverschmutzung und Smog in Tokyo. War das mein Japan? Ich war schwer enttäuscht, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Aber zum Glück wurde ich eines Tages eines Besseren belehrt.

Fortsetzung folgt …

Wie Japan in mein Leben kam

Warum ausgerechnet Japan? werde ich manchmal gefragt. Ich habe mich schon als junges Mädchen für Asien interessiert. Angefangen hat es mit dem Mädchenbuch „Kleine Schwester aus Korea“, später las ich die Bücher von Alice Eckert-Rotholz (z.B.Reis aus Silberschalen) und kam so auf Pearl S.Buck. Sie schrieb zwar hauptsächlich über China – schließlich hat sie den größten Teil ihres Lebens dort verbracht – aber einen kleinen Teil ihres Werkes widmete sie Japan. Ausgerechnet „Die springende Flut“ – die Geschichte eines Tsunami – hat mich total fasziniert. Wie kann ein Volk so leben? fragte ich mich. Meine Liebe zu Japan war geboren und hielt ein Leben lang.

Fortsetzung folgt …

Merken

Merken